Ausgrenzung wegen Behinderung – Aus der Gesellschaft gekuschelt

https://schreiben-ohne-schranken.de Hi! Heute geht es um eine Situation, die bestimmt vielen behinderten Menschen bekannt ist, und die gleichzeitig eine Form der Ausgrenzung verkörpert und eben wieder nicht. Zumindest in meinen Augen.

Hilfe um jeden Preis

ausgrenzung wegen behinderungAusgrenzung wegen Behinderung. Es geht um etwas, das wir in meiner Familie als „in Watte packen“ bezeichnen. Das Bedürfnis einiger (meist nicht behinderter) Menschen, behinderten Menschen in jeder Situation möglichst viel auszuhelfen. Das klingt jetzt vielleicht etwas abstrakt und auch nicht schlimm. Schließlich ist es doch schön, wenn dir jemand hilft.
Aber tatsächlich ist es ein zweischneidiges Schwert: Klar, um auf ein früheres Beispiel zurückzugreifen, ist es nicht toll, wenn du tatenlos dabeisitzt, während deine Klasse Blumenkästen baut, aber es ist auf eine gewisse Weise auch nicht toll, wenn deine Klasse zum Beispiel Kanu fahren will, dem Lehrer aber einfällt, das das wegen dir ja nicht geht.
Anders gesagt ist es scheiße, wenn Leute etwas nicht machen können, nur weil du dabei bist. Aber das ist nicht alles. Das ist nicht, was dich „aus der Gesellschaft kuschelt“. Eigentlich geht es heute um Extrawürste.

Raubt ihm jede Herausforderung!

In der Grundschule konnte ich nicht gut auf einem normalen Schulstuhl sitzen und außerdem nicht besonders schnell mit meinen Händen schreiben. Da war die Schule auf einmal bemüht mich „in Watte zu packen“. Zuerst einmal bekam ich einen tollen Bürosessel mit Polsterung und sollte außerdem doch umgehend auf einer Einhandtastatur schreiben. Eine Einhandtastatur, an dieser Stelle angemerkt, ist eben eine spezielle Anfertigung für Menschen, die nur eine Hand benutzen können, auf der jede Taste mit zwei Buchstaben belegt ist und du eben per Tastenkombination zwischen der Belegung wechseln kannst. Ein verdammt teures und luxuriöses Gerät, mittlerweile kann ich von Glück sagen, dass die Firma, die diese Geräte herstellte, pleite ging, bevor ich eines erhielt. Glück wohl, weil ich so tatsächlich das händische Schreiben erlernen konnte. Und mittlerweile bin ich dadurch Autor geworden.

Das „Luxusproblem“

„Aber“, mögen sich jetzt einige fragen: „ist so eine Behandlung nicht eine reinste Wunschvorstellung?“. Nein! Und ich wiederhole: Nein! Nein! Nein! Es ist keine Wunschvorstellung! Wie ist es wohl, wenn ihr der Einzige in einer Gemeinschaft von ungefähr dreißig Leuten seid, der so eine Sonderbehandlung erhält?


Denn, wer eine Sonderbehandlung erhält, sticht heraus. Aber ich habe ja nichts dafür getan! Ich kann ja nichts dafür, dass ich die blöde Hemiparese habe! Und wer so eine Behandlung erhält, zusätzlich noch mit einer Schulbegleitung an der Hand herumläuft, der gehört gewiss nicht zur Klassengemeinschaft. Es ist der skurrile Typ, der alles „in den Arsch geschoben“ bekommt.
Lasst mich eines klar machen: Wäre es mir tatsächlich nicht möglich, mit meinen Händen für die Schule schnell genug zu schreiben, wäre es mir tatsächlich nicht möglich, auf einem Schulstuhl ruhig zu sitzen, dann wäre diese Behandlung genau das Richtige und ich würde mich tausend Mal dafür bedanken. Der Punkt ist jedoch auf wäre!

Die harte Schule des Lebens

Ich schaffe es mittlerweile in einer dreistündigen Klausur acht Seiten händisch zu schreiben, fünf oder sechs in einer zweistündigen. Ich kann meine Notizen machen, und auf einem Schulstuhl kann ich auch drei Stunden sitzen, wenn ich gezwungen werde.
Ja, damals war all das schwierig für mich. Aber ich hätte es lernen können! Ich musste es eh lernen! Wenn mir jede Herausforderung genommen wird, der Weg immer geebnet wird, lerne ich gar nichts! Und zur Gemeinschaft gehöre ich eh nicht dazu!


Hätte ich bei den Pfadfindern nicht auch die ein oder andere Herausforderung meistern müssen, wäre ich nicht Teil dieser Gemeinschaft, die ich heute so schätzen gelernt habe. Ich weiß, dass ich niemals ein Musikinstrument lernen werde, genauso wenig werde ich je einen nicht-Ausdauersport meistern und ein politischer Aktivist werde ich wohl auch nie. Dazu fehlen mir die körperlichen Fähigkeiten oder die nötige Ausdauer!
Aber Autor, das kann ich werden. Ich weiß nicht, ob meine Geschichten je ein großes Publikum finden werden, ich weiß nicht, ob sie überhaupt gut sind, ob sie Sinn ergeben, die Charaktere nachvollziehbar handeln und meine Texte gut geschrieben sind und schöne Formulierungen haben. All das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ich ein Buch geschrieben habe, dass ich an meinem Zweiten arbeitete und das ich zumindest Spaß daran habe.
All das sei gesagt, um einen Punkt rüber zu bringen: Ich habe große Einschränkungen durch meine Behinderung, ich kann mir meine Gemeinschaft nicht in einem Maße aussuchen, wie es Menschen ohne eine Behinderung möglich ist.

Informationen als Lösungsvorschlag

Doch „in Watte gepackt“ zu werden, ist nicht die Lösung. Auf Menschen mit Behinderungen muss geachtet werden. Das sagt Inklusion aus. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, die Ziele der Inklusion umzusetzen und das bedeutet vor allem eins: Die Gesellschaft muss sich Menschen wie denen mit Behinderungen anpassen, nicht anders herum. Wir sind kein Fehler im System, höchstens ist das System ein Fehler!
Mein Vorschlag ist, und ich konzentriere mich hier auf eine schulische Umgebung: Zu Beginn einer jeden Klassenstufe können Schüler*innen, die Behinderungen haben, ein Dokument bei der Schulleitung abgeben, in dem genau aufgeführt ist, in welchen Bereichen sie eingeschränkt sind.
Dies hat zwei essentielle Vorteile: Der erste ist, dass die Schule weiß, was dem*der Schüler*in möglich ist und wird hoffentlich nicht über diese Grenzen hinaus einen „in Watte packen“. Der zweite ist, dass solch peinliche Situationen, in denen ein Vorschlag geäußert wird, der später zurückgenommen wird, weil eine Person nicht teilnehmen kann, nicht so häufig auftreten.


Ich habe hierfür ein ziemlich trauriges Beispiel: Ein Freund von mir konnte einmal (so weit ich weiß sogar mehrere Male), nicht an Ausflügen teilnehmen, weil er immer eine elterliche Begleitperson brauchte, die nicht immer zur Verfügung stand. Statt die jeweiligen Ausflüge zu verschieben oder umzuändern, wurde er einfach zurückgelassen und musste Unterricht in einer anderen Klasse ertragen. Dies verdeutlich, wie zurückgeblieben die Schule anscheinend beim Thema Inklusion ist.
Ja, das wäre mein Vorschlag. Bestimmt ist er nicht perfekt, aber es wäre eine große Verbesserung des Systems, denke ich. Ich hoffe, ihr versteht mich und fandet diesen Text informativ.
Danke, dass ihr bis zum Ende gelesen habt! Wie immer hoffe ich, ihr musstet so etwas nie erleben und ich wünsche euch noch einen wundervollen Tag!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen